Maria, Maienkönigin

Liebe Schwestern und Brüder,

„Maria, Maienkönigin, dich will der Mai begrüßen“ – dieses Lied ist vielen bekannt und wird gern gesungen. In einer einfachen Bildersprache will etwas glaubwürdig Schönes über Maria ausgesagt werden. Nach der Zeit des Winters folgt der Mai als ein Monat des Anbrechens einer neuen Zeit, ähnlich der Verheißung des Engels an Maria: „Du wirst ein Kind empfangen, einen Sohn wirst du gebären“ (Lk 1,31).

In den Monat Mai fallen so gut wie regelmäßig Feierlichkeiten wie Christi Himmelfahrt und Pfingsten. Es ist die Zeit des freudig gesungenen Hallelujas. Über Maria, die ihren Anteil hat am Erlösungswerk ihres Sohnes hat, kann viel ausgesagt werden. Schön sind dabei vielsprechende Bildworte. Eine ganze Reihe davon finden wir in der „Lauretanischen Litanei“.

In der aus dem italienischen Wallfahrtsort Loreto stammenden Litanei wird Maria als „Geheimnisvolle Rose“ bezeichnet. Sag es mit Blumen, könnte man meinen. Doch in der Bildsprache des Christentums besitzen Blumen längst nicht so eine dichte Symbolik wie beispielsweise Baum, Lamm oder Sonne. Als Königin der Blumen kommt die Rose dennoch zur Geltung. Eine kontrastreiche Symbolik tritt auf, wenn man die schöne Blüte einer Rose den vielen stechenden Dornen gegenüberstellt. In der Sprache christlicher Symbolik wird Maria zur „Rose ohne Dornen“, d. h. Maria verletzt niemanden, tut keinem weh. Im Gegenteil: diese „Geheimnisvolle Rose“ schenkt Heil und Leben, weil sie der Welt den Erlöser Jesus Christus schenkt. Erinnerungen mögen aufsteigen zum bekannten Weihnachtslied „Es ist ein Ros entsprungen, aus einer Wurzel zart …“

In der Litanei wird Maria ebenso bezeichnet als „Bundeslade Gottes“. Diese wurde vom Volk Israel beim Auszug aus Ägypten stets mitgeführt und wurde als besonderes Heiligtum verehrt, da sich in ihr u.a. die Steintafeln mit den Zehn Geboten Gottes befanden. Der christliche Glaube übernimmt die Vorstellung, dass die wahre Bundeslade in Wirklichkeit eine lebendige Person ist: Maria, die Mutter Jesu. Sie trug in ihrem Schoß den menschgewordenen Sohn Gottes. Wie die Gesetzestafeln Inbegriff des Wort Gottes sind, so ist Maria nun die eigentliche „Bundeslade“, indem sie Jesus, das lebendige Wort Gottes, in sich aufgenommen, getragen und der Welt geschenkt hat.

Schließlich wird Maria in der Litanei auch als „Pforte des Himmels“ betrachtet. Gemeint ist jene Pforte ins ewige Paradies, welche durch Sündenfall und Vertreibung verschlossen war. Durch die machtvolle Auferstehung und Himmelfahrt Jesu wird das Tor in das ewige Leben weit geöffnet. Maria ist nun jene Berufene, die als erste mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen wird. Für die Menschheit wird daher Maria, die Mutter des Erlösers, zur „Pforte des Himmels“.

Wir Glaubenden bedürfen einer vermittelnden bildhaften Sprache, um zu verstehen, wie reich unser christlicher Glaube ist. Das Aufbrechen der Natur im Monat Mai kann uns eine kleine Ahnung davon vermitteln, dass Gott für jeden von uns noch ganz viel bereithält. „Maria, Maienkönigin“ – unser ganzes Leben ist im Aufbruch. So wie bei Maria, so wartet auch unser Leben auf eine Vollendung in göttlicher Liebe.

Pfarrer Wolfgang Guttmann