Du mein Ein und Alles

Liebe Schwestern und Brüder,

es gibt Augenblicke, die können das Leben grundlegend verändern. Man trifft einen Menschen, bei dem man das Gefühl hat, den möchte man nicht aus dem Auge verlieren, weil er das Leben bereichert. Andere wiederum sind von einem Moment so fasziniert, dass sie Übersinnliches ahnen und ihnen dabei Gott in den Sinn kommt.

In diesem Kontext ist das Gleichnis Jesu vom Schatz im Acker sowie von der kostbaren Perle (Mt 13,44-52) zu verstehen. Jesus weiß, der Mensch ist auf der Suche. Und wenn er das gefunden hat, was er sucht, dann bleibt nichts mehr beim Alten. Es ist vor allem die Suche nach einem verlässlichen Du, einem Du, dem absolutes Vertrauen entgegengebracht werden kann. Ein Du, das in das eigene Leben eintreten kann und mit dem man sein Leben teilen möchte. Ein Du, zu dem man am liebsten sagen möchte: Du bist mein Ein und Alles.

Es gibt Menschen, die, wie in einem Bekehrungserlebnis, diesen Schatz in ihrem Leben entdeckt haben. Zu ihnen gehört Charles de Foucauld (1858-1916). Sein Vermächtnis ist noch heute in vielen geistlichen Gemeinschaften rund um die Welt lebendig, darunter auch in Hamburg. Papst Benedikt XVI. sprach diese außergewöhnliche geistliche Gestalt im Jahr 2005 Selig.

Charles de Foucauld war Forscher, Offizier der französischen Armee, Priester, Mönch und Eremit. Der geborene Straßburger wuchs in einem der wohlhabendsten Familien Frankreichs auf. Seine Jugendzeit war jedoch kompliziert. Schon früh verstarben Vater und Mutter, nachdem zuvor schon deren Ehe zerbrach. Zusammen mit seiner Schwester kam er bei Angehörigen im Elsass unter. Immerhin machte er, wenn auch mit Hindernissen, sein Abitur. Seine anschließende Militärlaufbahn war geprägt durch Faulheit und Ungehorsam. Sein ausschweifender Lebenswandel führte zu Skandalen. Während seiner Abkommandierung als Offizier nach Algerien wurde er wegen anstößigen Benehmens schließlich aus der Armee unehrenhaft entlassen.

Als junger Mensch hatte Charles de Foucauld jeglichen Glauben an Gott verloren. Während seiner Zeit als Forscher in den nordafrikanischen Ländern Algerien, Marokko und Tunesien kam er jedoch viel mit der muslimischen Bevölkerung in Berührung und studierte die monotheistischen Religionen Judentum und Islam. Die Frage nach Gott als sein persönliches Gegenüber kam für ihn immer näher und lies ihn nicht mehr los. Bei Besuchen in der Kirche wiederholte er den Satz: “Mein, Gott, wenn es dich gibt, dass lass mich dich erkennen.” Glücklicherweise begegnete Charles de Foucauld einem überzeugenden Geistlichen Begleiter. Glaube und Kirche erlangten so wieder eine neue Bedeutung.

Den Schatz im Acker hatte Charles de Foucauld nun gefunden. Mit seinem Eintritt in den Orden der Trappisten begann für den Gottsuchenden eine neue Lebensgeschichte. Nun kam er nicht mehr als Soldat nach Algerien, sondern als Mönch. Dort lebte er in bewusster Weise ein eremitisches Leben. Von Ordensleuten nahegelegt, empfing er mit 43 Jahren die Priesterweihe. In einer algerischen Provinz, wo es kaum Priester gab, betreute er nun seelsorglich französische Soldaten und pflegte Kontakt zur heimischen Bevölkerung. Um als Vermittler zwischen den Tuareg und den Franzosen zu wirken, gelangte er nach Tamanrasset und errichtete auf einem nahegelegenen Berggipfel eine Einsiedelei.

Er erlernte die Sprache der Tuareg und sammelte deren Gedichte und Fabeln. Mit dem König der Tuareg war er freundschaftlich verbunden. Streitigkeiten konnten geschlichtet werden. Umso beklagenswerter war es, dass Charles de Foucauld am 01. Dezember 1916 selber Opfer eines Aufstandes wurde. Als Gefangener traf ihn eine Kugel. Neben seiner geplünderten Hütte wurde er verscharrt, bis seine sterblichen Überreste Jahre später in ein für ihn errichtetes Grabmal überführt wurden.

In seinen überlieferten Schriften hielt Charles de Foucauld fest: “Ich bin gerade zum Priester geweiht worden und unternehme die notwendigen Schritte, um in der Sahara das verborgene Leben Jesu in Nazareth fortzusetzen, nicht um zu predigen, sondern um in der Einsamkeit, Armut und demütigen Arbeit Jesu zu leben und mich dabei zu bemühen, den Seelen Gutes zu tun, nicht durch das Wort, sondern durch Gebet, Darbringung des Messopfers, Buße und Übungen der Liebe.”

So als wenn er sein Ein und Alles gefunden hat, so hat der Sohn reicher Eltern nach seiner Bekehrung gelebt. Wer von Jesus, dem kostbaren Schatz, ergriffen ist, dem wandelt sich das Leben. Verzicht wird zum Reichtum, Hingabe zur Erfüllung. So ist auch jenes fast unzumutbare Gebet zu verstehen, welches mit Charles de Foucauld in Verbindung gebracht wird. Es macht deutlich, welch radikalen Wandel der ursprüngliche Soldat hin zum asketischen Mönch und Priester vollzog. Welcher Wandel hätte in uns zu erfolgen, um so beten zu können?

Mein Vater,
ich überlasse mich Dir,
mach mit mir, was Dir gefällt.
Was Du auch mit mir tun magst, ich danke Dir.
Zu allem bin ich bereit,
alles nehme ich an.
Wenn nur Dein Wille sich an mir erfüllt
und an allen Deinen Geschöpfen,
so ersehne ich weiter nichts, mein Gott.
In Deine Hände lege ich meine Seele;
ich gebe sie Dir, mein Gott,
mit der ganzen Liebe meines Herzens,
weil ich Dich liebe,
und weil diese Liebe mich treibt,
mich Dir hinzugeben,
mich in Deine Hände zu legen, ohne Maß,
mit einem grenzenlosen Vertrauen;
denn Du bist mein Vater. Amen.

(Pfarrer Wolfgang Guttmann)