Wer nicht gegen uns ist, der ist für uns

Wir alle haben die Aussage schon häufig aus der Bibel gehört und wir kennen den Ausspruch aus Büchern, Filmen und der Politik:

„Wer nicht für uns ist, der ist gegen uns.“

Mit diesen Worten machte George W. Bush nach den Anschlägen vom 11. September 2001 klar, dass er vom Rest der Welt bedingungslose Unterstützung im Krieg gegen den Terror erwartete.

Bei Lukas und Matthäus verwendet Jesus das Zitat in genau dieser Weise.

Aber im heutigen Markus-Evangelium bringt Jesus dieses Schwarzweiß-Denken, diesen Aufbau von Mauern und Barrieren nicht zum Ausdruck. Vielmehr sagt er in Richtung seiner Jünger, die sich darüber beklagen, dass ein anderer in Jesu Namen ohne dessen Beauftragung predigt und heilt:

„Hindert ihn nicht! Keiner, der in meinem Namen Wunder tut, kann so leicht schlecht von mir reden. Denn wer nicht gegen uns ist, der ist für uns. Wer euch auch nur einen Becher Wasser zu trinken gibt, weil ihr zu Christus gehört – amen, ich sage euch: er wird nicht um seinen Lohn kommen.“

Jesus stellt hier keine Abgrenzungen her, er lässt fließende Übergänge und Grautöne zu. Jesus bezieht die Ränder ganz bewusst mit ein. Was dürfen wir aus dieser Aussage für uns ableiten?

Die Haltung Jesu ist ein großes Zeichen der Toleranz und das Erdulden anderer Lebensentwürfe. Nicht Ausgrenzung, sondern Einbeziehung ist das, was Jesus demonstriert.

Philosophen sagen, man kann nur tolerant sein, wenn man seinen eigenen Standpunkt kennt, wenn man weiß, wofür man eintritt und wo man steht.

Jesus lässt im heutigen Evangelium für den eigenen Standpunkt keine Spielräume. Um das zu verdeutlichen, wählt er drastische Beispiele.

Anstatt sich um die Verfehlungen anderer zu kümmern und die Schwächen der Mitmenschen zu benennen, sind wir gefordert, den Blick auf uns zu richten. So großzügig und tolerant anderen gegenüber, so strikt und konsequent ist Jesus in seiner Erwartung an seine Jünger und damit auch an uns, wenn er die Einhaltung der Gebote und bedingungslose Nächstenliebe verlangt. Natürlich sind die Beispiele, die Jesus aufzählt, nicht wörtlich zu nehmen; sie haben nichts mit Scharia-ähnlichen Bestrafungen zu tun. Bei genauem Lesen erkennen wir, es geht um uns selbst. Nicht andere schlagen die Hand ab, reißen das Auge heraus, sondern die Forderung ist, dass wir im Falle von bewusstem Fehlverhalten das selbst bei uns tun. Es ist die Verdeutlichung, dass wir an uns arbeiten müssen und dass wir – jeder für sich – gefordert ist, sich an die Gebote und seine Weisungen zu halten. Wir sollen vor unserer eigenen Tür kehren und den Balken aus unserem Auge ziehen. Jeder ist zuerst für sein Denken und sein Handeln in der Gemeinschaft verantwortlich.

Gleichzeitig grenzt Jesus nicht aus, sondern lässt das Anderssein zu. Es ist die göttliche Großzügigkeit und Freiheit, die dort zu seinen Jüngern – zu uns – spricht und gewährt wird! Wer Gutes tut und Gutes für seine Mitmenschen erreicht, wird seinen gerechten Lohn erhalten.

Wie hat der Arzt und Theologe, Albert Schweizer, einmal gesagt:

“Echte Toleranz ist nicht möglich ohne Liebe.”

Nächstenliebe und Barmherzigkeit sind die Eckpfeiler unseres Wertegerüsts und das Fundament für Toleranz. Aber Toleranz ist eben nicht Beliebigkeit. Deshalb dürfen wir, ja müssen wir uns abgrenzen von Verhalten, das sich gegen das christliche Wertegerüst wendet, zum Beispiel wenn bei der Frage der Einwanderung und der Flüchtlingsproblematik Ausgrenzung statt Einbeziehung herrscht, wenn Barrieren statt Offenheit gefordert werden. Gerade vor dem Hintergrund unseres Ausländerfestes in der letzten Woche wissen wir, dass wir Weltkirche sind. Wir sind gefordert, eine lebendige, bunte Gemeinschaft und Gemeinde aufzubauen, in der sich alle mit ihren Stärken einbringen können und sich beheimatet fühlen. Die Konsequenz Jesu im heutigen Evangelium hat gute Gründe: Er braucht uns, um sein Werk auf Erden nach seinem Vorbild fortzusetzen. Und wir beziehen alle ein, die für ihn sind. Und dazu auch die, die nicht gegen ihn sind.
Das folgende Gebet aus dem 14. Jahrhundert beschreibt das, was Jesus von uns erwartet:

Christus hat nur unsere Hände,
um Seine Arbeit heute zu tun.
Er hat nur unsere Füße,
um Menschen auf Seinen Wegen zu führen.
Christus hat nur unsere Lippen,
um den Menschen von Sich zu erzählen.
Er hat nur unsere Hilfe,
um Menschen an Seine Seite zu bringen.
Wir sind die einzige Bibel,
welche die Menschen heute noch lesen.
Wir sind Gottes letzte Botschaft,
in Taten und Worten geschrieben.
Und wenn nun diese Schrift gefälscht ist,
nicht gelesen werden kann?
Wenn unsere Hände mit anderen Dingen
beschäftigt sind als mit den Seinen?
Wenn unsere Füße dahin gehen,
wohin die Sünde zieht?
Wenn unsere Lippen sprechen,
was er verwerfen würde?
Erwarten wir, Ihm dienen zu können,
ohne Ihm nachzufolgen?

(Jürgen Kuper)